Periphere Räume brauchen mehr Bildung, nicht weniger |
Ausgangspunkt unseres Projektes Dorfuni 2.0 ist die Erfahrung, dass es gerade in ländlichen Regionen ein vitales Bildungsbedürfnis gibt, durchaus so, individuell und differenziert wie in den Städten, aber mit einem wichtigen Zusatz.
Ob in der sozialen Daseinsvorsorge, im Bereich der Verwaltung und Infrastruktur, der Produktion, im Gewerbe, in Dienstleistungssektoren, oder dort wo es um Umgang mit natürlichen Ressourcen oder Kulturvermittlung geht: überall haben Spezialisierung, hohe Standards und hohe Ansprüche Einzug gehalten und schaffen Aufgaben, die in ländlichen Regionen von weniger Menschen als in städtischen Bereichen befriedigt werden müssen. Dies ist aber eine Lebensfrage für die Lebensqualität einer Region.
Die Menschen vor Ort haben also an sich einerseits sogar einen höheren Bedarf an Bildung als die Bewohner von Städten mit ihrem hohen Spezialisierungsgrad – andererseits stehen sie vor dem zusätzlichen Problem, dass diese Bildungsbedürfnisse vor Ort natürlich viel schwerer bewusst gemacht und befriedigt werden können als in den Städten.
Es braucht mehr Kooperation als in Städten, nicht weniger |
Eine Fülle von Anbietern von Wissen stünde zwar bereit, doch sind diese meist nur in den städtischen Zentren wirklich präsent. Das wird durch einige Teufelskreise verstärkt:
- Es gibt zumeist eine Knappheit an Lehrenden und Vortragenden vor Ort. Die wenigen vorhandenen Bildungsinstitutionen am Land können schwerlich die Vielfalt von all dem abdecken was gebraucht wird, und so konzentrieren sie sich auf wenige Standardangebote und machen einander zudem also noch Konkurrenz.
- Junge Menschen haben es in einer Zeit, in der ohne einschlägige Bildung kaum mehr Chancen in irgendeinem Beruf bestehen, besonders schwer. Sie fangen schon an zu pendeln, bevor sie dann letztendlich in den Ballungsräumen hängen bleiben. Bildungsanbieter antizipieren diesen Trend, Bildungsinstitutionen lösen sich genau in dem Moment auf, in dem sie am dringendsten gebraucht werden.
- Dazu kommt die an der städtischen Struktur orientierte sektorale Organisation des Bildungswesens insgesamt. Es gibt zwar ein sehr gut ausgebautes landwirtschaftliches Bildungswesen, doch wenige Angebote die der Vielfalt und Komplexität kommunaler bzw. territorialer Rollen, Beziehungen, Aufgaben und Berufsbilder Rechnung tragen. „Um das zu lernen musst Du irgendwo anders hingehen“ ist dann die Standardfloskel.
Diese Barriere im Bildungssektor ist unseres Erachtens eines der wesentlichsten Strukturprobleme in ländlichen Räumen, die zu Stagnation, Aufgabe von Infrastrukturstandards, Abwanderung und wirtschaftlichem Niedergang führt. Leider wie ein Teufelskreis sich selbst verstärkend.
Während in den großen Städten koordinierte Aktionen an der Tagesordnung sind, um industrielle Cluster, Bildungsanbieter und lokale Planer und Entscheidungsträger zu vernetzen (ein eindrucksvoller Meilenstein war die UNESCO-Konferenz „Learning Cities“ in Peking 2013), herrscht in ländlichen Gebieten noch immer eine passive Haltung, wenn nicht gar ein unkoordinierter Opportunismus. Manche Gemeinden bemühen sich dann wegen kurzfristiger Effekte zum Beispiel um hochspezialisierte Institutionen, deren Absolventen ganz sicher in ihrer Berufslaufbahn in der jeweiligen Region keinen Arbeitsplatz finden werden, und katapultieren damit die Jungen längerfristig erst recht hinaus.
Bildung muss mit lokalen Entwicklungsfragen verknüpft werden |
Eine ganze Reihe von sehr heterogenen Institutionen hat diese Probleme erkannt und seit geraumer Zeit begonnen, dieser Entwicklung gegenzusteuern: Wir finden darunter Schulen, Büchereien, Erwachsenenbildungsinstitutionen, Bildungswerke, Kulturvereine, Dorferneuerungsvereine und viele mehr. Sie haben, an vielen Orten und in vielen Formen erkannt, dass der Schlüssel zur guten Entwicklung speziell ländlicher Räume darin besteht, nicht nur eine gleichwertige Bildung vor Ort zu ermöglichen – sondern diese auch mit lokalen Entwicklungsperspektiven zu verknüpfen. Dabei ist eine verbreitete Erfahrung: je lokaler die Entwicklungsperspektive, umso erfolgreicher die Maßnahmen.
Es gibt eine Fülle von externen Ressourcen, darunter auch gute |
Zugleich haben sie begonnen zu realisieren, dass modernen Kommunikationstechnologien wie das breitbandige Internet und die Kooperation in Netzwerken ganz wichtige Mittel sind, dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen.
Denn alleine kann eine solche kleine Institution oder Bildungsinitiative – die zumeist aus den Mitteln lokaler Körperschaften unterhalten wird – diese gewaltige Aufgabe gar nicht nicht schaffen.
Doch stehen weltweit eine immer größere Anzahl von halb- oder dreiviertelfertigen „Rohprodukten“ im Netz zur Verfügung, die durchaus an lokale Szenarien angedockt werden können. (Noch auszuführen)
Gemeinsam lernen ist besser als einsam lernen |
In diesem Kontext hat es sich für lokale Entwicklung als besonders förderlich erwiesen, wenn in einem Ort oder einer Kleinregion ein starkes lokales Zentrum geschaffen wird, wo global inspiriertes Lernen und lokale Begegnung gleichermaßen stattfinden können. So schön und attraktiv das Lernen zu Hause ist, es reicht für das Ziel der Förderung lokaler Entwicklung gerade nicht aus. Die lokale Begegnung ist wichtig, hier entwickeln sich Ideen und Initiativen, die die jungen Menschen faszinieren, die sie an die Region glauben lassen, die vielleicht ihre Lebenspläne nachhaltig beeinflussen und vor allem miteinander in Resonanzen und Beziehungen bringen und letztlich so etwas wie aufeinander abgestimmte Unternehmungen generieren.
Um die kritische Masse für solche starken Lernzentren zu erreichen, mussten und müssen oft grosse Barrieren übersprungen werden. Es gibt klassische Beispiele dafür: In Saalfelden haben sich 2 Büchereien (aus dem kirchlichen und gewerkschaftlichen Bereich) und die Volkshochschule zu einem Lernzentrum zusammengeschlossen, in Fischamend oder in Eggenburg in Niederösterreich und auch an vielen weiteren Orten gibt es ähnliche Formen der Zusammenarbeit, zumeist zwischen Bücherei und Volkshochschule. In Moosburg in Kärnten wurden unlängst alle wichtigen Bildungsinstitutionen zu einem dörflichen Campus zusammengelegt. In Rottenmann und an vielen anderen Orten gelang einer lokalen initiative die Etablierung höherer Bildung durch Zusammenarbeit mit städtischen Universitäten.
Die „Uni im Dorf“ in Außervillgraten in Osttirol ist ein weiteres Beispiel dieses demonstrativen Pochens auf lokalen Zugang zu höherer Bildung und relevantem Wissen, in Zusammenarbeit von städtischen und ländlichen Institutionen. Die Dorfuni 2.0 verdankt sich einem einfachen Gedanken: was ist, wenn viele Gemeinden ihre Bildungsbedürfnisse poolen, also einerseits bewusst Zukunftslernorte schaffen, aber zugleich diese so vernetzen, dass jeder an den Stärken der anderen teilhaben kann? Wenn der Ort, wo die Menschen lokal zum Lernen zusammenkommen, auch der Ort ist, wo sie der Welt begegnen?
Kompetenz muss nach lokalen Bedingungen ausverhandelt werden |
Es gibt gerade, und das ist die Stärke unseres Konzepts, kein allgemeingültiges Modell von Zukunftslernorten, vielmehr ist dieses Modell je nach Gemeinde und Geschichte verschieden. Oft kommt es zu Grenzüberschreitungen, schlüpfen z.B. Schulen auch in die Rolle von fehlenden Erwachsenenbildungsinstitutionen, um einen integralen Lernort zu schaffen. Oft sind es Kulturgasthäuser, Offene Technologielabore oder alte Kinos, Bildungshäuser oder Museen, die schon längst das intellektuelle Zentrum lokaler Identitätsfindung, reflektierter Gemeinschaftsbildung und geistiger Impulse für Entwicklung von Ort und Region sind. Die Initiative Zukunftslernorte.at, die parallel zur Dorfuni entsteht, dokumentiert diese Vielfalt und sucht nach verallgemeinerbaren Erfahrungen.
Die Impulse, solche Orte des Lernens, der Begegnung und des Zugangs zu Wissensresourcen zu stärken, kommen von verschiedenen Seiten: von Gemeinden und Ländern, Regionalentwicklungsprogrammen und aus den Bildungsinstitutionen selbst. Die Aufgaben dieser Orte sind vielfältig, oft geht es darum, aussterbendes Wissen der Region selbst zu dokumentieren und für die Bevölkerung dieser Region verfügbar zu machen. Oft geht es um kulturelles und historisches Bewusstsein. Genauso wichtig sind aber neue Erkenntnisse aus allen alltagsrelevanten Bereichen, Bauen, Energie, Landwirtschaft, Handwerk, Gesundheit, Sport, Wirtschaft, Technik, Dienstleistungen und vieles mehr. Aus dieser Vielfalt bezieht die virtuelle DorfUni ihre Kraft. Sie zeigt die hunderten, vielleicht tausenden Facetten die für die Entwicklung von nachhaltig lebendigen Regionen, Gemeinden und Gemeinschaften im ländlichen Raum notwendig sind – und holt einen Großteil ihrer Themen aus praktischen Erfahrungen und Wissensakkumulation vor Ort.
Breitband – Infrastruktur ist entscheidend |
Den neuen Medien kommt dabei sowohl als Werkzeug der Sammlung als auch der Konservierung, vor allem aber des Verbreitens dieses Wissens eine entscheidende Rolle zu. Ein Zukunftslernort ist ein Ort, der die Möglichkeiten des Internet nicht nur zum individuellen Gebrauch anbietet wie ein Internet – Café, sondern damit aktiv gemeinschaftliche Lernprozesse unterstützt, informelle wie zertifizierte. Dabei können ganz eigene neue, in Gebieten mit schwacher Versorgung dringend notwendige Bildungsinfrastrukturen entstehen. Dabei pendeln nicht nur Daten und lebloser Content, sondern Lernen findet im Zeitalter des Breitband-Internets durch audiovisuelle Verbindung mithilfe digitalen Videos als mit vielen Sinnen erlebter lebendiger Prozess statt. Je besser und schärfer das Bild, je mannigfaltiger die Anzahl der gleichzeitigen Verbindungen ist, umso intensiver kann die Synchronizität einer virtuellen Lerngemeinschaft erlebt werden. Breitband ist der große Ermöglicher für eine solche Lerngemeinschaft. Wir haben schon bisher die Erfahrung gemacht, wie spannend es für die Bewohner einer Gemeinde sein kann, zeitgleich mit vielen anderen eine solche Lerngemeinschaft zu bilden. Mit einem Schlag ist das Gefühl der Kleinheit, der Unbedeutendheit gegenüber der Stadt weg – wir sind so viele und wir wissen so viel, dass unsere Gemeinschaft der Stadt Paroli bieten kann, oder noch besser, mit ihr virtuell verwachsen kann.
Höhere Bildung kommt nicht mehr nur von Unis |
Das Internet hat also eine Situation herbeigeführt, in der eine überregionale Vernetzung der Zukunftslernorte miteinander möglich und extrem sinnvoll geworden ist. Durch das Internet können nämlich nicht nur lokale Bildungsangebote drastisch erweitert werden – sondern gleichzeitig können die Orte, an denen dies geschieht, auch selber zu Produktionsstätten von Bildungsveranstaltungen und im weitesten Sinne sogar des darin angebotenen Wissens werden, sie können mediale Kompetenzen als Sender und Empfänger aufbauen. Mediale Kompetenzen, die sie einerseits sowieso benötigen, um die digitalen Inhalte lokal zu „inszenieren“, die sie nur ein wenig erweitern müssen, um ihre eigenen Angebote für andere aufzubereiten.
Dezentrale Zukunftslernorte wachsen so in die Rolle von komplementären Wissenszentren: während ständig neue Impulse von außen auch die Überwindung von Denkbarrieren im Inneren erleichtern, transformiert sich dieses Innere allmählich. Die Menschen können „Fachstammtische“ und „Studienzirkel“ bilden und vielleicht auch überregional gemeinsam längerfristig an Themen arbeiten. Dörfer verstehen sich als Entwicklungslabore, sie teilen ihr Wissen mit anderen und entwickeln im Lauf der Zeit eine Fachkompetenz, die sie Universitäten vergleichbar macht – dies ist unsere Vision.
Vorarbeit wurde geleistet: das Beispiel Kirchbach |
Im Jahr 2004 hat für uns dieser Prozess – der schon 1999 spektakulär vorbereitet wurde durch die Veranstaltung „Global Village – Reisen in vernetzte Bildungswelten“ im Wiener Rathaus – in der dörflichen Praxis durch die gemeinsame Initiative des Hauses KB5 in Kirchbach/Steiermark , des Vereins KB5 – Globale Dörfer und der GIVE Forschungsgesellschaft begonnen; in kurzer Zeit wurde nicht nur die Vernetzung eines dörflichen Bildungsortes mit einer regelmäßigen universitären Veranstaltung (Montagsakademie der Uni Graz) in einer neuen und innovativen Weise als „moderierter und gecoachter lokaler Lernprozess“ geschaffen, sondern auch eine einwöchige virtuelle Konferenz (Tage der Utopie) in Zusammenarbeit zweier ländlicher Bildungsinstitute (KB5 und Bildungshaus St. Arbogast/Vorarlberg) erfolgreich abgehalten. Dabei wurde besonderes Augenmerk auf die Kohäsion und Interaktion der Teilnehmer vor Ort gelegt. Oft setzen sich die Prozesse noch Stunden nach dem Ausschalten der Übertragung beim gemütlichen Beisammensein in den Gasträumen fort, wurden nachhaltige Interessen und Initiativen geweckt. Dies ermutigte uns, von einer neuen Lernmethodik namens „Videobrücke“ zu sprechen, die den Charakter von Lerngemeinschaften vor Ort in den Mittelpunkt stellt.
Für eine neue Vernetzung der Regionen! |
Es liegt nahe, aus diesen punktuellen positiven Erfahrungen heraus die Möglichkeit einer weit größeren und effektiveren Vernetzung zu generieren. Die Zugangs- und Lernorte selbst sollen der Träger einer Struktur werden, die es ihnen ermöglicht, ein gemeinsames vernetztes Bildungsangebot zu schaffen, gemeinsam mit universitären Partnern und anderen Netzwerken, die sich dieser Struktur ebenfalls bedienen und sie zugleich bereichern können.
Mehr denn je gibt es weltweit ein reichhaltiges online – Bildungsangebot, von „konservierten Lektionen“, von der Khan Academy zu TEDx, und neuerdings machen die MOOCs (Massive Open Online Courses) auf verschiedenen Plattformen von sich reden. Diesen virtuellen Plattformen können reale Räume geboten werden, mit spezifischen Unterstützungsangeboten, Training, Coaching, der Möglichkeit gezielt nachzufragen und auch auf das jeweilige Lerntempo Rücksicht zu nehmen. Viele dieser Kurse sind aber auch synchron und auf eingeschränkter Interaktivität aufgebaut, oder es werden die Lernenden miteinander vernetzt. Daraus und mit dem Siegeszug der social networks wie facebook haben sich wiederum gänzlich neue Formen wie persönliche Lernnetzwerke (PLNs) entwickelt, bei denen die Vorgangsweise von den Lernenden selber bestimmt wird.
Während, wie oben erwähnt, weltweit ein Prozess in Gang ist, der lokale Akteure vor allem in Städten zu „lernenden Städten“ zusammenschließt, stehen solche Prozesse im ländlichen Raum auch mangels Akteuren am Anfang, „lernende Regionen“ haben aber gerade angesichts der immensen Vielfalt und Tiefe der globalen Lernangebote eine große Chance. Die Herausforderung liegt hier eher auf der Seite der Identifikation von Bildungsbedürfnissen. Sind diese geprägt von Hoffnungen, auf Exportmärkten erfolgreiche Unternehmungen zu stärken; oder geht der Trend eher in Richtung Lebensqualität, effizienter Umgang mit Ressourcen, lokale Kreisläufe, Abkopplung von der „warfare economy“ und Steigerung der Resilienz gegen den zunehmend bedrohlichen und volatilen globalen Krisenverlauf ? Hier wollen wir einen eindeutigen Akzent setzen!
Je mehr Kreislauf, desto mehr kooperatives Vernetzungspotential |
Die u.U. größte und interessanteste Chance ergibt sich für uns aus dem gemeinsamen Interesse zumindest der peripheren Regionen, genau diese lokalen Kreisläufe zu stärken. Weil dabei nicht das Interesse an Wettbewerbsvorteilen im Vordergrund steht, sondern das Interesse an der Optimierung lokaler Kreisläufe Rivalitäten eher vermindert, fördert es den freien Austausch von Wissen und gibt dem in Entstehung begriffenen Raum der freien Designs, der Open Source Hardware, der Pläne und Entwürfe für nachhaltiges Bauen, Mobilität, kurzum, einer ganz anderen „vierten industriellen Revolution“ in Richtung Kleinräumigkeit und Ganzheitlichkeit, eine logische Entfaltungsmöglichkeit.
Eine drastische und iterative wechselseitige Verstärkung zwischen lokaler Kreislaufwirtschaft und freiem globalem Wissensaustausch darf angenommen werden. Wir wollen uns in deren Dienst stellen.